Falls Sie bei der Einführung von Kurzarbeit auch an den Urlaubsanspruch denken, fragen Sie sich zumeist, ob der Urlaubsanspruch vorrangig eingesetzt werden muss, um Kurzarbeitergeld zu erhalten. Hierzu gibt es bereits eine Fülle von Informationen. Ob die Kurzarbeit zu einer Reduzierung des Urlaubsanspruchs im laufenden Kalenderjahr führt, bleibt dagegen häufig außer Betracht.
Tatsächlich kann Kurzarbeit zu einer automatischen Reduzierung des Urlaubsanspruchs führen. Ausgangspunkt ist hierbei der Zweck der gesetzlichen Urlaubsregelungen. Der Arbeitnehmer soll sich durch den Urlaub von der Arbeit erholen. Dies setzt grundsätzlich voraus, dass er auch gearbeitet hat. Der gesetzliche Mindesturlaub beträgt im Kalenderjahr 24 Tage, ausgehend von einer Sechs-Tage-Woche (Montag bis Samstag). Eine Sechs-Tage-Woche entspricht dabei rechnerisch 312 Arbeitstagen im Kalenderjahr.
Wird an einzelnen Tagen des Jahres nicht gearbeitet und resultiert dies nicht aus gesundheitlichen Gründen erfolgt eine Kürzung des Urlaubsanspruchs nach folgender Formel:
Jahresurlaub = (24 Werktage Urlaub x Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht) / 312 Werktage
Die Auswirkungen lassen sich anhand von Berechnungsbeispielen verdeutlichen:
Beispiel 1:
Ein Arbeitnehmer mit einer Sechs-Tage-Woche arbeitet in Folge von Kurzarbeit zwei Kalender Monate nicht (Kurzarbeit “0”).
Jahresurlaub = (24 Werktage Urlaub x 260 Tage mit Arbeitspflicht ) / 312 Werktage
Die 260 Tage Arbeitspflicht berechnen sich aus 312 /12 x 10. Der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers verkürzt sich von 24 Urlaubstagen auf 20 Urlaubstage.
Beispiel 2:
Ein Arbeitnehmer mit einer Fünf-Tage-Woche arbeitet in Folge von Kurzarbeit über einen Zeitraum von drei Monaten nicht am Donnerstag und Freitag (Kurzarbeit 60%).
Jahresurlaub = (24 Werktage Urlaub x 234 Tage mit Arbeitspflicht ) / 312 Werktage
Sein Urlaubsanspruch verkürzt sich von 20 Urlaubstagen auf 18 Urlaubstage.
Hintergrund
Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs
Der EuGH hat unlängst seine frühere Rechtsprechung bestätigt, wonach der Jahresurlaub proportional um Zeiten einer „Kurzarbeit Null“ gekürzt werden darf (EuGH, ECLI:EU:C:2018:1018 = NZA 2019, 47 – Hein). Dort ist ausgeführt, dass ein Arbeitnehmer „Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub gem. Art. 7 I der RL 2003/88 nur für die Zeiträume erwerben kann, in denen er tatsächlich gearbeitet hat, so dass für Kurzarbeitszeiten, in denen er nicht gearbeitet hat, kein auf dieser Vorschrift beruhender Urlaubsanspruch entsteht“. Das Recht der Mitgliedstaaten, für den Schutz der Arbeitnehmer günstigere nationale Vorschriften anzuwenden, bleibt unberührt (EuGH a.a.O Rz. 29f).
Die Sicht des EuGH lässt sich in einem einfachen Beispiel verdeutlichen: Arbeitet ein Arbeitnehmer nur an der Hälfte der jährlichen Arbeitstage, so hat er nur Anspruch auf den halben Mindesturlaub.
Gibt es nun in Deutschland günstigere nationale Vorschriften, welche diese Reduzierung ganz oder teilweise verhindern?
Die frühere über Jahrzehnte hinweg gültige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) sah dies so. Der gesetzliche Urlaubsanspruch nach dem Bundesurlaubsgesetz (BurlG) war danach in seinem Entstehen gerade nicht an eine Arbeitsleistung im Urlaubsjahr gebunden. Noch im Jahr 2014 entschied das BAG folgerichtig, dass selbst dann, wenn zwischen den Arbeitsvertragsparteien ein unbezahlter Sonderurlaub (Sabbatical) vereinbart wurde, dies nicht das Entstehen des ungeschmälerten gesetzlichen Urlaubsanspruchs hindert.
Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
Diese Rechtsprechung hat das Bundesarbeitsgericht unlängst aufgegeben. In seiner Entscheidung vom 19.3.2019 – 9 AZR 315/17 – berechnet es den Jahresurlaub bei unbezahltem Sonderurlaub nach folgender Formel:
Jahresurlaub = (24 Werktage Urlaub x Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht ) / 312 Werktage
Bei der Bestimmung der „Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht“ bezieht das BAG nunmehr ausdrücklich die Tage, an denen wegen des unbezahlten Sonderurlaubs nicht gearbeitet wird, nicht in die Berechnung ein.
Ein halbes Jahr Sonderurlaub führt zur Halbierung des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs in dem betreffenden Kalenderjahr. Das Bundesarbeitsgericht verweist in dieser Entscheidung auch auf bestimmte Einschränkungen, bei denen der Urlaubsanspruch trotz verringerter Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht nicht gekürzt wird. Eine andere Berechnung könne durch entgegenstehende gesetzliche Bestimmungen, unionsrechtliche Vorgaben sowie nach § 13 Bundesurlaubsgesetz zulässige kollektivrechtliche oder vertragliche Vereinbarungen veranlasst sein. Eine Verringerung der Tage mit Arbeitspflicht infolge von Kurzarbeit ist allerdings nicht genannt und einschränkende Gesetze sind hier auch nicht ersichtlich.
Fazit
Wenn sich durch die Kurzarbeit die Anzahl der Arbeitstage im Kalenderjahr nicht ändert, also schlicht die arbeitstägliche Arbeitszeit reduziert wird, kann eine Verminderung der Urlaubsansprüche von vornherein nicht eintreten.
Wenn allerdings nach der Reduzierung der Arbeitszeit infolge der Kurzarbeit einzelne Arbeitstage arbeitsfrei werden, vermindert sich grundsätzlich der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch für das jeweilige Kalenderjahr.
Diese Folge betrifft allerdings nur die Dauer des Mindesterholungsurlaubs. Für die Frage des während des Urlaubs zu leistenden Urlaubsentgelts besteht eine eindeutige gesetzliche Regelung, die eine Verminderung des Urlaubsentgeltes infolge der Kurzarbeit ausschließt. Nach § 11 Abs. 1 Satz 3 BurlG bleiben Verdienstkürzungen, die im Berechnungszeitraum infolge von Kurzarbeit eintreten, für die Berechnung des Urlaubsentgelts außer Betracht.
Praxistipp
Es ist grundsätzlich dazu zu raten, die oben dargelegten Auswirkungen bereits bei der Gestaltung der arbeitsrechtlichen Grundlagen für die Einführung von Kurzarbeit zu berücksichtigen, um späteren Streit um den Urlaubsanspruch zu vermeiden.
Viele Arbeitgeber informieren derzeit ihre Mitarbeiter vor Abschluss eines Vertragszusatzes zur Einführung von Kurzarbeit ausführlich über die finanziellen Aspekte des Kurzarbeitergeldes. Dies dient der Überzeugung der Mitarbeiter und wohl auch der Erfüllung einer von den Arbeitgebern empfundenen Fürsorgepflicht. Es ist nicht auszuschließen, dass die Rechtsprechung – entgegen der Rechtsansicht des Autors –auf Grundlage der Fürsorgepflicht künftig auch von einer Verpflichtung der Arbeitgeber ausgeht, die Mitarbeiter über die Auswirkungen der Kurzarbeit auf ihre Urlaubsansprüche zu informieren. Schlimmstenfalls gefährdet ein unterlassener Hinweis dann die Wirksamkeit der Vereinbarungen zur Einführung der Kurzarbeit.
Um auf der sicheren Seite zu sein, sollte man diesen Punkt zwischen den Parteien also eindeutig regeln.