Kerngehalt der gesetzlichen Neuregelung:
Mit dem Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie vom 27.03.2020 ist im Bereich des Insolvenzrechts rückwirkend zum 01.03.2020 die Pflicht von Geschäftsleitern, für ihr Unternehmen ggf. Insolvenzantrag zu stellen, bis einschließlich 30.09.2020 ausgesetzt worden.
Dieses Gesetz enthält zudem eine an das Bundesjustizministerium gerichtete Ermächtigung, vorgenannte Regelung durch eine entsprechende Rechtsverordnung bis längstens 31.03.2021 zu verlängern.
Wenn ein Unternehmen also in der Zeit ab dem 01.03.2020 zahlungsunfähig geworden ist bzw. zahlungsunfähig wird und nicht innerhalb der gesetzlichen 3-Wochen-Frist (gerechnet ab Eintritt der Insolvenzreife) einen Insolvenzantrag stellt, kann es sich auf die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht berufen.
Geht die Sache im Ergebnis aber nicht gut aus, d.h. das Unternehmen muss in der Zeit nach dem 30.09.2020 letztlich doch Insolvenz anmelden und der Geschäftsleiter wird wegen angeblich verspäteter Stellung des Insolvenzantrags in die Haftung genommen, muss der Geschäftsleiter vor Gericht nachweisen können, dass sein Unternehmen bis zum 31.12.2019 noch zahlungsfähig war. Wenn dem Geschäftsleiter dieser Nachweis gelingt, dann wird zugunsten des Geschäftsleiters gesetzlich vermutet, dass
(1.) die Insolvenzreife des Unternehmens auf der Corona-Krise beruht und
(2.) eine hinreichende Aussicht darauf vorlag, die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens rechtzeitig abwenden zu können, das Unternehmen also bis zum 21.10.2020 wahrscheinlich wieder „gesunden“ wird.
Umstände, die zur Vorsicht mahnen
Aus folgenden Gründen ist für Geschäftsleiter jedoch große Vorsicht geboten, was einen allzu leichtfertigen Umgang mit der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht betrifft:
Der Insolvenzverwalter wird im Nachgang versuchen zu widerlegen, dass die Insolvenz Corona-bedingt entstanden ist. Oder er stellt Untersuchungen an, die belegen, dass tatsächlich keine Aussicht auf Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit gegeben war.
Der Insolvenzverwalter ist nämlich schlicht daran interessiert, den Geschäftsleiter in die private Haftung zu nehmen – denn dadurch kann er mit dem Privatvermögen des Geschäftsleiters die Insolvenzmasse vergrößern.
Kann der Insolvenzverwalter vor Gericht einen der beiden vorbezeichneten Punkte darlegen und beweisen, ist die oben angesprochene, zugunsten des Geschäftsleiters wirkende gesetzliche Vermutung widerlegt. Damit stellt sich dann die vom Geschäftsleiter unterlassene Stellung des Insolvenzantrags als nicht gerechtfertigt heraus. Dies wiederum begründet für den Geschäftsleiter das hohe Risiko, vom Insolvenzverwalter wegen sog. verbotener Auszahlungen in die persönliche Haftung genommen zu werden.
Sogenannte „Verbotene Auszahlungen“ sind solche, die das Unternehmen in der Zeit nach Eintritt seiner Insolvenzreife vornimmt, obwohl die betreffenden Auszahlungen nicht mehr mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind. Für verbotene Auszahlungen muss der Geschäftsleiter des Unternehmens gegenüber dem späteren Insolvenzverwalter haftungstechnisch „geradestehen“ – und zwar mit allem, was er persönlich an Vermögen hat. Diese persönliche Haftung kann für den Geschäftsleiter schnell ruinöse Folgen haben.
Praxistipp:
Im Hinblick darauf ist es für Geschäftsleiter von in die wirtschaftliche Krise geratenen Unternehmen gerade in Zeiten wie diesen für die Vermeidung einer späteren persönlichen Haftung von überragender Bedeutung, sich darüber im Klaren zu sein,
- unter welchen gesetzlichen Voraussetzungen und wie lange der Geschäftsleiter von einem Insolvenzantrag absehen kann,
- hinsichtlich welcher dieser gesetzlichen Voraussetzungen er – der Geschäftsleiter – später die Beweislast für deren Vorliegen zu tragen hat sowie
- welche Vorsorge er treffen kann, damit ihm später der erforderliche Beweis tatsächlich gelingt.